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  • Was es ist

    In ruhigen gleichmäßigen Zügen, als trage er die Ewigkeit in sich, strich der Henker seinen Wetzstein über den blanken Stahl des Schwerts. Er mochte dieses stille Ritual vor dem großen Augenblick, dieses Gefühl der Gelassenheit, das sich mit jedem Strich über die Klinge in seinem Körper wohlig warm ausbreitete. In diesen Momenten wurde der enge, feuchte Raum, in dem er saß und auf das Urteil wartete, weit und hell. Und manchmal, für einen kurzen Augenblick, sah er sogar die Sonne. Der Henker schloß die Augen, atmete tief ein und trat in Gedanken hinaus auf den Platz, wo der Tod für das Volk tanzen sollte. Er ging die Stufen hinauf zum Podest, sah den Richtblock, das getrocknete Blut daran, den Weidenkorb auf dem Boden. Er hörte das Raunen des Volkes, fühlte die Ungeduld der Menschen, die Gerechtigkeit bei ihrer Arbeit sehen z dürfen und sah in ihren Augen die Erleichterung, daß ein anderer und nicht man selbst, dem Tod ins Auge sah. Er war einer von vielen. Doch wenn er die schwarze Kapuze über sein Gesicht streifte, das Schwert über die Schultern hob und mit ganzer Kraft in den Richtblock rammte, war er für einen Augenblick den Göttern unendlich nah. Solange, bis der Kopf in den Korb fiel, und sich das Schweigen der Menge in donnernden Jubel verwandelte. Der Henker lächelte sanft. Es war so einfach, Menschen glücklich zu machen. Er betrachtete prüfend die Klinge und kramte unter seinem speckigen Lederumhang eine Vogelfeder hervor. Der Henker warf die Feder in die Höhe, ließ sie in der feuchten Luft des düsteren Raumes tanzen und wartete geduldig, bis sie sich fast schwerelos auf die Klinge legte, um dort in zwei Hälften geteilt zu werden. Das Schwert war bereit und er zufrieden. Schwere Schritte vor seiner Kammer schreckten ihn auf. Angespannt, wie die Sehne eines Bogens, stand er da. Das Klappern der Kerkerschlüssel war zu hören, die Zeit drängte. Der Henker schlich zur Tür. Er wollte die Angeklagte sehen, einen kurzen Blick erhaschen, bevor die Schergen der Gerechtigkeit sie dem Gericht überstellten und damit den Lauf der Dinge in Bewegung setzten. Er kam zu spät, Niemand war zu sehen, und trotzdem war der schmale Gang von einem Zauber erfüllt, der den Henker schwindelig machte. Was geschah mit ihm? Es dauerte einen Augenblick, bis er wieder zu sich kam, und weil er nicht wußte, wohin er mit diesem Gefühl sollte, nahm er den Wetzstein in die Hand und setzte seine Arbeit fort. Er wollte in seiner eigenen Welt versinken, seinen Träumen, jenen Notausgängen des Lebens, doch seine Gedanken suchten einen anderen Weg. Sein Blick wanderte die Steinmauer entlang nach oben zu einem kleinen, vergitterten Fenster. Er wußte, daß man von dort aus Einblick in den Gerichtssaal hatte. Aber das Fenster war bloße Versuchung. Es war ihm als Henker auf das strengstes verboten, die Verhandlung zu beobachten. Doch der Wunsch, die Angeklagte zu sehen, wurde stärker und stärker. Nur ein Blick, bevor das Urteil sie verwandelte, sich die Zuversicht aus ihren Augen stahl und ein reißender Fluß aus Angst den Lebensmut mit sich fortriß. Seit im Land per Dekret verfügt worden war, daß sie vor Gericht gestellt wird, war ein Sturm der Gefühle losgebrochen, der jeden mitriß. Alle hatten Wichtiges zu berichten, und doch wußte niemand etwas. Sie war ein Geheimnis, das jeder zu kennen glaubte und in Wahrheit keiner kannte. Noch zögerte der Henker. Aber der Kampf dauerte nicht lange, die Versuchung war zu groß, allein ihm selbst kam es wie eine Ewigkeit vor. Er spürte, wenn er sie nicht sah, würden seine Träume nie wieder das sein, was sie bisher waren. Leise, vorsichtig und zugleich von einer inneren Hast getrieben, legte er sein Schwert auf den Boden und zog den Schemel unter das Fenster. Den rechten Fuß auf den Schemel zu setzen, ging rasch und einfach. Allein das linke Bein zögerte, wollte den Kontakt mit dem Boden nicht aufgeben. Er mußte den letzten Schritt wagen. Sein hastiger Blick huschte im Gerichtssaal umher. Sie saßen dichtgedrängt, leide miteinander tuschelnd auf den schmalen Bänken. Männer mit ernsten Gesichtern, viele in der Kluft des Tagewerks, einige im feinen Gewand. Frauen mit besorgtem Blick, Taschentücher in der Hand, ihre Kinder fest an sich gepreßt. Er entdeckt das Portal aus dunklem Ebenholz. Zwei Löwenköpfe zierten die Türen. Zähnefletschend hielten sie jeden Unbefugten davon ab, ihnen zu nahe zu kommen. Hinter dem Portal warteten die Zeugen der Anklage. Nicht weit davon entfernt saßen die sieben Geschworenen. Auserwählte, mit alltäglichen Gesichtern, Gedanken und Gefühlen. Der Henker erschrak, erkannte sich selbst in einem der Gesichter und wußte zugleich, daß ein jeder im Saal, auf der Straße, in der Stadt im ganzen Land, sich in einem der sieben Gesichter wiederfand. Einzig aus diesem Grund waren sie die Auserwählten. Vor den Reihen der Schaulustigen sah er den Tisch des Klägers. Ein wichtig dreinblickender Mann hatte dahinter Platz genommen. Daneben der Tisch des Verteidigers, an dem keine Menschenseele saß. Direkt unter ihm, kaum drei Ellen entfernt, saß der Richter. Groß und wuchtig, auf einem schweren Stuhl aus dunklem Holz, thronte die Gerechtigkeit über allen anderen im Saal. Der Henker sah die dichten, schwarzen Haare auf den Fingerrücken, die fleischigen Hände, die größer waren als seine eigenen. Er mußte lächeln, als er eine kahle Stelle auf dem Kopf des Richters entdeckte, die niemand, außer ihm, sehen konnte. Die Gerechtigkeit wird alt, dachte der Henker und schämte sich sogleich dafür. Denn Gedanken wie diese, standen einem wie ihm nicht zu. Der Richter hob den Hammer. Der Henker spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten, seine Hände zitterten. Er konnte mit ruhiger Hand töten, dem Recht zu seinem Recht verhelfen, doch das Krachen, als der Hammer auf die Tischplatte fiel, ließ ihn bis ins Mark erschauern. Dabei kannte er das Geräusch. Gehört hatte er es schon oft, es war das Zeichen, die Angeklagte in den Saal zu führen. Der Henker beobachtete die schmale Tür, direkt neben der Anklagebank. Gleich würde die Tür geöffnet werden. Sie würde heraustreten, die wenigen Stufen nach oben gehen und sich auf den ihr zugewiesenen Platz setzen. Er vergaß die Verbote, vergaß seine Angst. Er konnte seinen Blick nicht mehr abwenden, sah nur noch die Tür, die schweren Scharniere, das schmiedeeiseren Schloß, und dann sah er sie. In diesem Augenblick wußte er, daß es von Anfang an sein Schicksal gewesen war, so zu handeln. Es gab kein Zurück. Es hatte nie ein Zurück gegeben. "Sie ist es", flüsterten die Menschen im Gerichtssaal und nickten sich gegenseitig bestätigend zu. In den hinteren Reihen reckten sie die Hälse, um einen Blick zu erhaschen. Einige hielt es nicht mehr auf den Bänken, aber ein leises Zischen aus den Reihen dahinter, brachte sie schnell dazu, sich wieder zu setzen. Die Stimmen wurden leiser, die Menschen erwartungsvoller. Sie kam aus den Tiefen des Kellers, hatte auf nacktem Boden geschlafen, war über schmutzige Stufen gegangen und an feuchten Wänden entlanggestreift. Trotzdem war ihr Gewand von einem makellosen Weiß, wie frisch gefallener Schnee auf den höchsten Gipfeln des Landes. Erhobenen Hauptes, mit einem sanften Lächeln, trat sie durch die Tür, ging die wenigen Stufen nach oben, sah den Richter an, die Schaulustigen, die Schergen der Gerechtigkeit, die Geschworenen und schenkte jedem einzelnen ihre ganze Wärme und Zärtlichkeit. Ein Raunen ging durch den Saal, und für einen Augenblick waren Gefühle stärker als Gesetze, hatte selbst der Richter nicht die Macht, für Ruhe zu sorgen. Für diesen einen Augenblick herrschte Vollkommenheit im Saal. Zuerst waren es einige wenige, die mit leisen, bösen Worten diese Vollkommenheit zerstörten. Dann wurden es mehr, die Beschimpfungen lauter, bis der ganze Saal aufbegehrte. "Sie ist eine Hexe!" schrie ein Mann aus den vorderen reihen. "Sie bringt Unheil!" ergänzte eine Frau und preßte dabei ihr Kind ängstlich an die Seite. "Hängt sie auf!" rief ein anderer. "Schlagt ihr den Kopf ab, bevor sie uns alle mit ihrer Scheinheiligkeit verzaubert!" forderte ein weiterer. "Ruhe, oder ich lasse den Saal räumen!" dröhnte die Stimme des Richters. Die Menge beruhigte sich, der Tumult wich einer ungeduldigen, stillen Spannung. Der Blick des Richters verharrte auf der Angeklagten. "Wer verteidigt Euer Recht vor diesem hohen Gericht?" "Ich selbst, Euer Ehren." Die Worte schienen in der Luft zu tanzen, wurden mit ihr fortgetragen und erreichten auch die hinterste Reihe des Saals. Die Zartheit ihrer Stimme ließ die Herzen einiger weniger im Saal aufatmen, wie ein Frühlingsmorgen, der nach frostiger Nacht, die ersten Sonnenstrahlen begierig in sich aufnimmt. Die meisten wehrten sich mit aller Kraft gegen dieses Gefühl, das stark und schwach zugleich machte. Und es war vor allem die Schwäche, die sie dagegen ankämpfen ließ. "Dann soll es so sein", räusperte sich der Richter und wandte sich an den Ankläger. "Wie lautet die Beschuldigung?" Der Ankläger trat vor. Er war ein Meister seines Fachs, ein Magier der Worte und Gesten. Seit vielen Jahren verstand er es, die Geschworenen für sich einzunehmen, sie zu fesseln, zu begeistern. Auf daß sie sich am Ende der Verhandlung mit Freude und Hingabe und der festen überzeugung, das Richtige zu tun, für seinen Antrag entschieden. Jede seiner Bewegungen erzählte eine Geschichte: vom recht haben, Recht wollen und Recht bekommen. "Verrat an der Menschlichkeit, unendliche Schmerzen, unvorstellbares Leid und, hohes Gericht, werte Geschworenen, Mord! Mord in mannigfaltiger Weise, böse, hinterlistig und gemein! All das klage ich an, und all das werde ich durch Zeugen beweisen!" Die Stimme des Anklägers war kalt wie ein Gebirgsbach. "Aus diesem Grund, hohes Gericht, fordere ich den Tod durch das Schwert des Henkers!" Der Ankläger setzte eine wohlfeile Pause; wissend um deren Wirkung, wartete er ab, bis alle Aufmerksamkeit ihm gehörte. Gemessenen Schrittes trat er in die Mitte des Saals. Mit einer weit ausholenden Geste deutete er auf das Portal und rief feierlich: "Der erste Zeuge!" Sie waren da, schlagartig mit aller Macht: die Spannung, die Ungeduld, die Gier nach Neuigkeiten, nach der Entscheidung von Leben und Tod. Die Mühlen der Gerechtigkeit setzten sich zäh in Bewegung. Nichts konnte sie mehr aufhalten. Der erste Zeuge betrat mit ruhigen Schritten den Raum und ging zum Richtertisch. Seine ergrauten Schläfen, das weise Lächeln in seinem zeitlosen Gesicht, verliehen ihm große Würde. Jede seiner Bewegungen strahlte Ruhe und Klarheit aus wie ein Diamant, der tief in der Erde seit Jahrtausenden ruht. Wissend um den Wert, welchen er verkörpert und doch zufrieden mit seinem Dasein. "Ich bin die Vernunft", stellt sich der Zeuge vor. "Wie lange kennt ihr die Angeklagte?" wollte der Ankläger wissen. "So, wie alle Zeugen", antwortete die Vernunft. "Seit Anbeginn der Zeit." "Und was habt ihr der Angeklagten vorzuwerfen?" Die Vernunft wandte sich den Menschen im Saal zu. "Ihr Dasein ist sinnlos, ohne Wert. Es gibt keinen einzigen Grund, weshalb es sie weiterhin geben soll. Sie ist nichts weiter als Unsinn!" Die letzten Worte der Vernunft waren kaum verhallt, da brach eine Welle der Abscheu über die Angeklagte herein. "Tötet sie"; forderten die Schaulustigen. "Gebt sie in die Hände des Henkers!" Nur mit Mühe, gelang es dem Richter, die Menschen im Saal zu bändigen. Der Ankläger betrachtete zufrieden das Schauspiel und warf einen ersten Blick auf die Geschworenen, als wolle er ihnen sagen, darf man Volkes Stimme überhören? Doch der Richter wich vom Pfad der Gerechtigkeit nicht ab und wandte sich, nachdem endlich Ruhe eingekehrt war, an die Angeklagte. "Was habt Ihr zu Eurer Verteidigung zu sagen?" Alle Augen richteten sich auf die junge Frau, die dem Henker so unschuldig schien und doch eine Angeklagte war, die um ihr Leben kämpfte. Was würde sie sagen angesichts dieser Anschuldigung? Wie sollte sie beweisen, daß die Vernunft ein falsches Zeugnis abgelegt hatte? Die Angeklagte erhob sich und antwortete mit leiser Stimme: "Ich bin, was ich bin." Der Richter konnte nicht glauben, daß die Angeklagte nicht mehr zu sagen hatte. Sie aber schwieg und schenkte ihm einen dieser weichen, zärtlichen Blicke, die selbst die rauheste und härteste Schale durchbrach. De Richte räusperte sich verlegen. De Ankläger sah die Gefahr. Schwäche, Verständnis, Barmherzigkeit waren im Gerichtssaal seine ärgsten Feinde. Um Schlimmeres zu verhindern, forderte er mit Nachdruck den zweiten Zeugen, und der Richter entsprach seinem Wunsch. Geduckt, versteckt unter einem großen Mantel, lief die Zeugin mit raschen Schritten zum Richtertisch. "Was ist mit dem Goldstück, das man mir versprochen hat?" keifte sie mit gieriger Stimme. "Ich hatte Auslagen, die ein Goldstück kaum aufzuwiegen vermag. Wo ist es?" "Ihr werdet bekommen, was Euch zusteht", antwortete der Richter. "Doch erst tretet einen Schritt zurück und sagt, was Ihr zu sagen habt." Die Zeugin tat, wie ihr geheißen und warf dabei ihre Kapuze in den Nacken. Ihr schmales Gesicht zierte eine gewaltige Hakennase und ihre Augen erinnerten an die eines Habichts. Kalt und berechnend musterte sie den Richter. "Ich bin die Berechnung und was ich in diesem Prozeß, vor diesem hohen Gericht zu sagen habe, ist weit mehr wert als ein Goldstück." "Sprecht, sonst wartet der Kerker auf Euch!" drohte der Richter ungeduldig. Erschrocken duckte sich die Berechnung um sogleich wieder mit bösem Grinsen obenauf zu sein. Mit ihren langen Fingern deutete sie auf die Angeklagte. "Sie ist eine Betrügerin, eine Blenderin, die nur Unheil bringt! Wer sie ansieht, mag an meinen Worten zweifeln. Aber wer sich mit ihr einläßt, wer zuläßt, daß ihre Macht über ihn kommt, auf den wartet am Ende nur eines: großes, schmerzvolles Unglück!" Der Ankläger warf einen zufriedenen Blick in den Saal und zu seinen Geschworenen, die, dessen war er sicher, bald ihm gehörten. Der Richter sah zur Angeklagten, wartete auf ein Wort der Verteidigung. Doch sie schwieg, und so forderte er den dritten Zeugen. Nur mit Mühe gelang es den Schergen der Gerechtigkeit, ein kleines Mütterchen, versteckt unter alten Lumpen, hereinzubringen. Ein übler Geruch ging von der Zeugin aus, die nur zögernd zum Richtertisch kam. Dort, wo sie zitternd vorbeischlurfte, rückten die Menschen zur Seite, um nur möglichst nicht mit den alten Lumpen in Berührung zu kommen. Ein leises Wispern und Scharren umgab die alte Frau, ab und an auch ein Schrei, der jeden im Saal sofort an seinen schlimmsten Traum erinnerte. "Ich, ...ich", der alten Frau versagte die Stimme. Der Ankläger träufelte einige Tropfen Parfüm auf sein blütenweißes Taschentuch, hielt es sich unter die Nase und ging zu der alten Frau. "Sprecht, liebe Frau", säuselte er, "Niemand will Euch Böses". Die alte Frau nickte und hob von neuem an. "Ich bin die Angst und sie...", zum ersten Mal bekam ihre Stimme einen energischeren Ton, ein Fundament, auf dem sich bauen ließ. Voller Abscheu kamen die Worte über ihre dünnen gerissenen Lippen, "...sie ist nichts weiter als Schmerz. Großer, abgrundtiefer Schmerz, der in die Glieder fährt, ins Herz. Schmerz, der einem die Eingeweide zerfrißt und einen bis zum bitteren Ende leiden läßt. Verglichen mit ihrer dunklen Macht, ist die Pest ein Segen". Als hätten die Worte alle Energie aus ihrem Körper gesogen, sank die Angst wieder in sich zusammen. Kein Wort war zu hören. Die Angeklagte saß still da und tat in dieser beklemmenden Situation etwas Ungeheuerliches. Sie lächelte. Warm und weich, mit grenzenloser Zärtlichkeit. Und es gab tatsächlich Menschen im Saal, die konnten, nein, die wollten ihr einfach nicht böse sein. In dieses stille Lächeln hinein kam die nächste Zeugin. Sie trug weite, bunte Röcke und eine Jacke aus tausend Flicken. Mit wiegenden Schritten, als würde sie tanzen, kam die Zeugin zum Richtertisch, verbeugte sich kurz und fing sofort an zu sprechen. "Ich grüße Euch, werter Richter. Ich bin die Einsicht, die Schwester der Vernunft. Ich habe nicht viel zu sagen, wollte trotzdem mein Scherflein zur Gerechtigkeit beitragen und fahre fort, sofern Ihr es wünscht". "Tut dies", antwortete der Richter. "Ihr Streben", die Einsicht deutete auf die Angeklagte, "ist aussichtslos. Was sie begehrt, wird ihr nie gelingen. Wer ihr folgt, ihr vertraut, wird scheitern. All die Mühen, die sie einem abverlangt, all die Hoffnungen, die sich früher oder später in Verzweiflung wandeln und die Seele unendlich belasten, all das ist für nichts und wieder nichts". Noch eine kurze Verbeugung, schon war die Einsicht mit ihren fliegenden Röcken aus dem Saal verschwunden. Der Richter sah die Angeklagte streng an. "Schwere Beschuldigungen lasten auf Euch. Wollt Ihr etwas zu Eurer Verteidigung sagen?" Die Angeklagte erhob sich. Die Spannung im Saal flirrte, wie an Sommertagen die Hitze über gestampfter Erde. Sie sah zum Richter, den Geschworenen, den Menschen im Saal. "Ich bin, was ich bin", sagte sie mit leiser Stimme, und die Luft um sie herum begann zu singen. Ein Leuchten ging von ihr aus, das selbst dunkle Katakomben mit Lebensfreude erfüllen könnte. Das spürte auch der Ankläger. Seine Stimme erhob sich über den Saal. Er war nicht willens, den Kampf zu verlieren. "Hohes Gericht, laßt mich weitere Zeugen aufrufen, die beweisen, daß die Angeklagte nichts weiter als den Tod verdient. Wir dürfen uns nicht von ihrer Scheinheiligkeit blenden lassen. Ihre Worte sind bloßes Blendwerk, Glitzerzeug, das sich bei näherem Hinsehen als Tand erweist." Der Richter nickte kaum merklich. "Ruft den nächsten Zeugen!" Kleider aus edelstem Zwirn, ein Zylinder schwarz wie die Nacht, und ein Stock, dessen Knauf eine goldene Krone zierte, so kam er herein. Mir weit ausholenden Schritten ging er durch die Reihen, als flaniere er eine Promenade entlang. Grüßte hier, grüßte da. Schenkte jenen ein Lächeln, und anderen einen herablassenden Blick. Er genoß die bewundernden Blicke und deutete selbst vor dem Richter eine Verbeugung nur an. "Was ich zu sagen habe..." "Nennt zuerst Euren Namen", unterbrach ihn der Richter. "Wozu? Ein jeder im Saal kennt mich", begehrte der Zeuge auf. "Nennt mir Euren Namen, so verlangt es das Gesetz!" Alle im Saal zuckten unter den drohenden Worten des Richters zusammen. Allein der Zeuge bewahrte seinen selbstgefälligen Blick, war nicht bereit, sich vor dem Recht zu ducken. "Ich bitte Euch, tut was er verlangt", bat der Ankläger mit demütiger Stimme, gefolgt von einem Bückling. Er wußte, wie er seine Zeugen zu nehmen hatte, damit sie schlußendlich taten, was er wollte. "Ich bin der Stolz", ließ sich der Zeuge zu einer Antwort herab. Er deutete mit seinem Stock auf die Angeklagte und verzog dabei das Gesicht, als stochere er in Unrat herum. "Ihr Tun ist lächerlich. Was sie bewirken will: lächerlich! Was man sich von ihr erhofft: lächerlich! Alles an ihr ist lächerlich!" Seine Stimme wurde eindringlicher, warnender. "Und gerade das macht sie für jeden von uns so gefährlich!" Auf mannigfaltige Weise bestätigte die Schaulustigen den Stolz. Die meisten beließen es bei einem zustimmenden Nicken, andere klopften mit ihrer Hand auf das Holz der Bänke, und einige wagten sogar, zu applaudieren. Der Ankläger war zufrieden. Die Menge gehörte wieder seinen Gedanken, seinen Wünschen. "Bringt den nächsten Zeugen!" rief er voller Zuversicht. Die Neugier auf einen weiteren Zeugen ließ die Menschen zur Ruhe kommen. Ein kurzes Gerangel an der Tür zog die Aufmerksamkeit der Besucher auf sich. Die Schergen der Gerechtigkeit hatten einiges zu tun, um den nächsten Zeugen in den Gerichtssaal zu schaffen. Der Mann trug eine alte Rüstung, schwer und massiv, dazu Handschuhe und Stulpen aus Eisen. Seinen Schild hielt er über den Kopf, als könnten jeden Moment Feinde wie hungrige Greifvögel auf ihn herabstürzen. Der Aufzug des Mannes sorgte für manch beißenden Spott und humorvolle Bemerkung. Das alte Visier klappte ständig nach unten, und es kostete den Mann einige Mühe, immer wieder dafür zu sorgen, daß er freien Blick zum Richtertisch hatte und so seinen Weg finden konnte. "Vorsicht, ihr könntet Euch verletzen", warnte er auf dem Weg zum Richtertisch eine dicke Frau mit rosigen Wangen, die während der Verhandlung strickte. Die Frau starrte einen Moment auf die Nadeln, dann auf den Mann, dem einmal mehr das Visier herunterfiel und verstaute schließlich ihr ganzes Strickzeug in einem Weidenkorb, der zu ihren Füßen stand. Dem Richter ging das alles viel zu langsam. Drohend hielt er seinen Hammer, das Zepter der Gerechtigkeit in die Höhe und mahnte zur Eile. "Quetscht Euch nicht den Finger", warnte der Mann, dessen Stimme unter der Rüstung einen hohlen Klang hatte. Es gelang ihm tatsächlich, den Richter für den Bruchteil einer Sekunde, den Flügelschlag einer Stubenfliege, aus der Fassung zu bringen. Der Hammer sauste nieder "Ruhe!" Niemand sagte ein Wort, einige wagten nicht einmal zu atmen, so ernst nahmen sie den Wunsch des Richters. "Ist Euch auch nichts geschehen?" war die Stimme des Mannes zu hören. "Ich meine mit Eurer Hand?" "Sagt, was Ihr zu sagen habt," befahl der Richter. "Ich bin die Vorsicht", erklärte der Mann. "Und was die Angeklagte betrifft, so ist es Leichtsinn, ihr zu folgen. Leichtsinn, auf sie zu hören, und leichtsinnig, an sie zu glauben. Wer sich aber trotzdem auf sie einläßt, glaubt mir, der geht dem Tod mit schnellen Schritten entgegen." Der Ankläger warf einen kurzen Blick auf die Zeugenbank und sein Herz bekam einen Stich. Er sah, wie die Angeklagte durch ihr sanftes Lächeln dem Zeugen für einen Moment soviel Leichtigkeit verlieh, daß dieser, trotz seiner schweren Rüstung, mit sicherem Schritt den Raum verlassen konnte. Rasch wandte er sich ab. Er durfte nicht zweifeln, keinen Moment. Auch er war schon mit ihr in Berührung gekommen, kannte ihre Macht. Im Guten, aber vor allem im Bösen! Der Tod war für sie nur gerecht, und so sollte das Urteil auch lauten! "Obwohl nach all den Zeugen die Frage der Schuld längst geklärt ist", hörte er sich sagen, "möchte ich einen weiteren Zeugen aufrufen, dessen Leumund über jeden Zweifel erhaben ist." Ein ehrfürchtiges Raunen ging durch den Saal, als der alte Mann, gebückt von der Last der Zeit, aber mit festem Schritt, zum Richtertisch ging. Die grauen Haare reichten ihm bis weit über die Schultern und tatsächlich, keiner im Saal dachte auch nur einen Augenblick daran, die Worte dieses Zeugen in Zweifel zu ziehen. "Ich bin die Erfahrung", stellte sich der Mann mit einer tiefen Verbeugung dem Richter vor. Auch der Richter erhob sich von seinem Stuhl und verbeugte sich. So groß war die Ehrfurcht vor diesem Mann. Der Ankläger rieb sich zufrieden die Hände. Die Erfahrung wandte sich der Angeklagten zu. Er war der einzige Zeuge, der es wagte, ihrem Zauber offen zu begegnen. Selbst ihr schenkte er eine kurze Verbeugung. "Seid Ihr zu einer Aussage bereit?" fragte der Richter. Die Erfahrung wandte sich wieder dem Richtertisch zu. "Was sie vorgibt zu sein, ist unmöglich! Was sie in uns erreichen, verändern möchte, es ist unmöglich. Sie kann niemals vollbringen, was sie vollbringen will. Das ist ihr trauriges Schicksal. Und jeder, der ihr folgt, den wird das selbe Schicksal ereilen." Ohne ein weiteres Wort, aber mit aller gebotenen Höflichkeit, verließ die Erfahrung den Saal. Der Richter wandte sich an die Geschworenen. "Ihr habt gehört, was die Zeigen zu berichten wußten. Habt die Worte vernommen. Daraus ein Urteil zu bilden, obliegt nun Euch. Ihr seid die Vertreter des Volkes. Wenn ihr die Angeklagte schuldig sprecht, so bedeutet das unwiderruflich den Tod für sie, und der Tod kennt kein Zurück. Die Anklage möge ihr Schlußwort sprechen." Darauf hatte der Ankläger ungeduldig gewartet. Vor vielen Jahren war er einmal in das ferne Spanien gereist und dort Zeuge eines wahrlich seltsamen Schauspiels geworden. Junge Männer trieben einen pechschwarzen Stier in die Arena, wo ein einzelner ihn erwartete. Bereit zu Kampf auf Leben und Tod. Sie nannten ihn Matador. Speere steckten im Nacken des Stiers und das Blut färbte seinen Rücken. Der Matador lud mit seinem roten Tuch den Stier zum Tanz und wich dabei stets gewandt den tödlichen Hörnern aus. Als der Stier nach langem Kampf müde und entkräftet inmitten der Arena stand, zog der Matador seinen Degen und versetze dem Tier, unter dem lauten Jubel der Menge, den Todesstoß. Seit dieser Zeit sah er sich selbst als Matador. Doch seine Gegner kamen nicht im pechschwarzen Gewand, sondern in vielfacher Gestalt. Hinterlistiger und unberechenbarer, als es ein Stier je sein konnte. Der Ankläger warf einen letzten Blick auf die Schaulustigen. Das Spiel mit dem Tuch war vorüber, nun galt es den Degen zu ziehen, den tödlichen Stoß zu setzen. Er trat vor die Geschworenenbank. "Ein jeder von uns ist mit der Angeklagten schon einmal in Berührung gekommen, hat ihre teuflische Macht gespürt, ist ihrer Hinterlist zum Opfer gefallen. Die Zeugen haben unser aller Erkenntnis nur bestätigt. Was sie in uns bewirkt ist Unsinn, bringt Unglück, nichts als Schmerz. Dabei ist es aussichtslos, ja lächerlich und leichtsinnig. Aber all das könnten selbst jene ihr noch verzeihen, die in ihrem Namen bittere Tränen vergossen haben, oder gar ihr Leben gaben, wenn uns die Erfahrung nicht gewarnt hätte! Was sie erreichen will, ist unmöglich." Der Ankläger beugte sich über die niedrige Brüstung und sah jeden einzelnen an. Mit leiser Stimme fuhr er fort: "Hört auf die Zeugen, aber vor allem hört auf das Leid, das ihr alle schon gespürt habt. Um unser aller Seelenheil, unser aller Seelenfrieden, sprecht die Angeklagte schuldig und beendet ihr unheilvolles Tun auf dieser Welt." Der Ankläger ging zurück zu seinem Tisch und setzte sich auf den Stuhl. Er hatte getan was getan werden mußte. Nunmehr lag das Schicksal in der Hand der Geschworenen. Der Richter räusperte sich und sah zur Angeklagten. "Dies ist Eure letzte Möglichkeit, ein Wort an die Geschworenen zu richten, bevor sie ihr Urteil fällen. Habt Ihr etwas zu Eurer Verteidigung zu sagen?" Für einen Moment schien es, als wolle die Angeklagte schweigen. Doch dann erhob sie sich. Langsam, ruhig, mit einer grenzenlosen Leichtigkeit. "Ich bin, was ich bin", sagte sie mit fester Stimme. Und jeder verstand sie mit dem Herzen. Langsam setzte sich die Angeklagte wieder auf ihren Platz. Leises Hüsteln war zu hören, einige scharten mit den Füßen, wieder andere schluckten schwer und laut. Doch keiner von ihnen erhob seine Stimme. "Es ist an euch, zu entscheiden", wandte sich der Richter an die Geschworenen, jene sieben Auserwählten, mit ihren alltäglichen Gesichtern, Gedanken und Gefühlen, in denen sich die ein jeder im Saal, auf der Straße, in der Stadt, im ganzen Land, wiederfand. Die Geschworenen erhoben sich wortlos und verließen den Saal, um zu beraten und ein Urteil zu fällen. Der Henker warf einen letzten Blick auf die Angeklagte, stieg von seinem Schemel und setzte sich. Er vergrub seinen Kopf in den Händen, fuhr sich durch die Haare, atmete schwer, richtete sich auf und sah sein Schwert an. Nie zuvor hatte er die Last seines Tuns so schwer auf den Schultern gespürt. Mit der Gewißheit vor Augen, daß er derjenige sein würde, de ihrem Leben ein Ende setzen würde, spürte er zu ersten Mal, wie wertvoll das Leben ist, das Riechen, Sehen, Fühlen, Hören und Schmecken. Der Henker fuhr mit dem Wetzstein sacht die scharfe Klinge entlang. Er wollte nicht nachdenken und suchte im gleichmäßigen Rhythmus der Arbeit nach seinen Träumen, diesem Notausgang aus dem Leben. Doch die Realität entließ ihn nicht in die Welt des Imaginären. Er hatte zuviel gesehen, zuviel gespürt. Er konnte sich nicht mehr dagegen wehren und fühlte in diesem Augenblick wie all die anderen. Die dicke Frau mit den rosigen Wangen, die Leute im Saal, in der Stadt, im ganzen Land und jenseits der Grenzen. Sie alle mußten eine Entscheidung treffen. Und je mehr sich der Henker dessen bewußt wurde, je mehr er dies zuließ, desto größer und heller wurde der kahle Raum. Die Decke schien sich zu heben, gleißendes Sonnenlicht strömte in sein Herz, ließ die Augen leuchten und die Seele tanzen, als säße er auf einem bunten Marktplatz, wo der Tod nichts zu suchen hat. Nur das Leben. Er wußte, er mußte sich entscheiden. So wie alle. Die Entscheidung, ob die Liebe leben oder sterben sollte, mußte gefällt werden. Der Henker legte sein Schwert beiseite, öffnete die Tür, verließ den engen, düsteren Raum, lief den Gang entlang und trat hinaus auf den Marktplatz, den die tiefstehende Sonne in ein rotes, warmes Licht tauchte. Er schloß die Augen und ging der Sonne entgegen.
    Jürgen Werner


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